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Die Namensgebung der Turnerschaft Schaumburgia-Tuiskonia

Woher stammt der Name Schaumburgia? Er ist eben nicht ganz üblich. Die Korporationen haben weitgehend als Bezeichnungen die Namen der alten germanischen Stämme gewählt. Da gibt oder gab es allein im Coburger Convent mehrere Verbindungen mit dem Namen Teutonia, Cimbria oder Cheruskia.

Unsere Tuiskonen gingen bei ihrem schönen Namen auf Tuisko zurück, den erdgeborenen Gott, in dem alle Germanen den Schöpfer ihres Volkes sahen. Schaumburgia gehört zu der großen Gruppe von Bezeichnungen, die eine Landschaft nennen. Der landsmannschaftliche Gesichtspunkt ist ja der älteste Grund für einen Zusammenschluss von Studenten. Wir finden: Pomerania, Brandenburgia, Alsatia, Gottinga, Munichia usw. Die Landsmannschaften oder Städte, die hier zu Grunde liegen, sind allgemein bekannt. Das ist bei unserem Bundesnamen nicht der Fall.

Es handelt sich bei ihm zunächst um das alte Stammschloß der Grafen zu Schaumburg, das, zum Teil erhalten, zum größeren Teil erneuert, im Weserbergland liegt. 14 deutsche Burgen oder Ruinen tragen diesen Namen; in mittelhochdeutschen Quellen finden wir dafür: ze der scouvenden burg. Sie alle bieten also einen besonders weiten und schönen Ausblick in ihre Umgebung. Zwischen der Münsterbucht in Westfalen und dem niedersächsischen Flachland, das bei Hannover beginnt, liegt eine Gebirgslandschaft, die oft als Weserfestung bezeichnet wird. Es ist eine Gebirgsscholle, die sich von Südosten nach Nordwesten wie eine Bastion in das Tiefland verschiebt, im Süden wallartig vom Osning oder Teutoburger Wald und im Norden vom Wiehengebirge und der Weserkette begrenzt. Durch sie windet sich der nördliche Teil der oberen Weser, bis sie sich in der Porta Westfalica den Durchbruch ins Tiefland erzwingt. Und da sind wir an der Stätte, die wir suchen.  Etwas östlich dieser Westfälischen Pforte liegt auf dem Südabhang des Wesergebirges, auf dem Nesselberg, einem Vorsprung des höheren Paschenbergs (worauf nie einen Burg gestanden hat), unsere Schaumburg. Am Bergfuß finden wir als nächstgelegenen Ort das Dorf Deckbergen. Von den Fenstern des wiederhergestellten Pallas oder auch durch die genannte Himmelspforte, ein Tor in der Umfassungsmauer, geht der Blick auf die Weser und ihre fruchtbare Ebene hinunter, die sich hier west-östlich erstreckten, vom Städtchen Hessisch-Oldendorf im Osten bis zu der größeren Stadt Rinteln. Dass die Weserfestung durch ihre ins Flachland vorgeschobene Lage und mit ihren Pässen in früheren Zeiten eine geopolitische Bedeutung gehabt hat, erkennt man leicht. Hier fand die große Cheruskerschlacht gegen die Römer statt. Hier legte Karl der Große nach der Unterwerfung der Sachsen gleich drei Bistümer am: Minden, Osnabrück und Paderborn. Hier im Bergland bildeten sich im Mittelalter fünf weltliche Territorien, die man wegen ihrer Beziehung zu den Pässen als Passstaaten bezeichnen kann: Tecklenburg, Ravensberg, Lippe, Schwalenberg und — Schaumburg.

Der mächtige Salierkönig Konrad II. belehnte 1030 — es war die Blütezeit des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation — einen Grafen Adolf von Santersleben (die Endung leben zeigt, dass er aus der Gegend Magdeburg-Halberstadt stammen muss) mit dem Bukigau zwischen Weser und Deister. 1033 erbaute dieser als Mittelpunkt seiner Herrschaft die Schaumburg. er hieß nun Graf Adolf I. von Schaumburg und ist der Stammvater eines in der deutschen, zumindest der nordwestdeutschen Geschichte bedeutenden Geschlechts. So erzählen uns alte Chroniken. Die neueste Geschichtsforschung meldet Zweifel an: Nach ihr sind die Herkunft unserer Grafenfamilie, erste Belehnung mit dem Wesergebiet und das genaue Datum des Burgbaues noch nicht endgültig geklärt. Graf Adolf III. ist im Anfang des 12. Jahrhunderts von dem Sachsenherzog Lothar von Supplinburg, dem späteren Kaiser, mit Stormarn und Holstein als einer neuen Grafschaft Holstein belehnt worden. Adolf IV. von Holstein erwarb sich dadurch einen Namen, dass er der überspannten Großmachtpolitik des Dänenkönigs Waldemars II. einhalt gebot. Dieser wähnte sich schon als Herr aller Ostseelande weit über Lübeck hinaus bis vor die Tore Hamburgs. Da wurde sein Heer im Sommer 1227 von Adolf IV. in der blutigen Schlacht bei Bornhövede (südlich von Kiel) vernichtet. Adolf IV. ist für den schaumburgischen Besitz an der Oberweser wichtig, weil er gegenüber dem auf dem rechten Ufer gelegenen Dorf Rinteln, 1158 zuerst erwähnt, auf der linken Weserseite die Stadt Rinteln gegründet hat. Der größte der holsteinischen Schaumburger ist Gerhard III., der von einem anderen König Waldemar von Dänemark 1326 zu Stormarn und Holstein nach Schleswig als erbliches Lehen erhielt und so in seiner Zeit nördlich der Unterelbe zwischen Nord- und Ostsee einen großen Staat beherrschte. Er war bald unter dem Ehrennamen Geert der Große bekannt, und seine Taten haben Detlev von Liliencron zu dichterischer Verherrlichung begeistert. Größe weckt Feindschaft, und so ist dieser mächtige Fürst 1340 heimtückisch zu Randers ermordet worden. Schon ein Jahrhundert später, 1459, starb die nördliche Linie der Schaumburger aus.

In der kleinen Grafschaft an der Oberweser regierte die Familie noch zwei Jahrhunderte weiter. 1558 führte sie die Reformation ein, und 1619 wurde Graf Ernst III. von Kaiser Ferdinand II. in den Reichsfürstenstand erhoben. Dieser Ernst III. verlegte 1621 das „Gymnasium illustre“ von Stadthagen nach Rinteln und erhob es zur protestantischen Universität seines kleinen Landes. Schon 1640 starben dann auch im Stammland an der Oberweser die Schaumburger aus. Die Mutter des letzten Grafen gehörte der Familie zur Lippe an, sie vermachte das kleine Fürstentum ihrem Bruder Grafen Philipp zur Lippe. Da mischten sich der Herzog von Braunschweig-Lüneburg (bald Hannover) und der Landgraf von Hessen-Kassel ein. Der Westfälische Friede brachte in dem Erbstreit die Lösung: aus einem großen Teil des Erbes entstand Schaumburg-Lippe mit der Hauptstadt Bückeburg. Einen kleinen Teil bekamen die Welfen, und der Rest, der sich vom Süden des Steinhuder Meeres (Sachenhagen) bis über die Weser mit Einschluss Rintelns, Hessisch-Oldendorfs und des Stammschlosses erstreckte und den alten Namen Grafschaft Schaumburg behielt, kam an den Landgrafen von Hessen-Kassel. Als nach dem Krieg von 1866 die preußische Provinz Hessen-Nassau gebildet wurde, blieb das Ländchen an der Oberweser als Exklave im Verband dieser neuen Provinz, jetzt mit den Hauptorten Rinteln und Obernkirchen. 1932 trat die gegebene Vereinfachung dadurch ein, dass der hessische Kreis Grafschaft Schaumburg, der ja von fremden Ländern und Verwaltungsbezirken eingeschlossen war, von Schaumburg-Lippe, Westfalen, Lippe-Detmold und vor allem von der Provinz Hannover, diesen eingegliedert wurde. Die hessische Zeit hatte nach zwei Jahrhunderten ein Ende gefunden.

Schon die letzten Grafen von Schaumburg hatten nicht mehr oft auf dem schönen Schloss im Bergwald residiert, es verfiel mehr und mehr, blieb aber bewohnbar. Zunächst wurde es als Jagdschloss, später als Justiz- und Rentamt benutzt. Kaiser Wilhelm II. schenkte 1907 die Burg dem Fürsten Georg von Schaumburg-Lippe zur Silberhochzeit.

Die Universität Rinteln hat von 1621 bis in die Zeit des Königreichs Westfalen, bis 1809, neben Marburg als zweite hessische Universität bestanden. Die Universität Rinteln ist nicht mehr, aber Marburg blüht. Den hessischen Kreis Grafschaft Schaumburg gibt es nicht mehr, doch die Landschaft an der Oberweser ist so schön wie je. Längst sind die Grafen, die sich nach ihr benannten und sie und Holstein einst beherrschten, gestorben, aber manche große Menschen unter ihnen können uns begeistern, die wir als einstige oder jetzige Korporationsstudenten Marburgs ihren Namen tragen dürfen.

Abiturienten besonders des Rintelner Gymnasiums und einiger benachbarter Städte haben unserem Bund einst diesen landschaftlichen Namen gegeben. Er hat in seiner Einmaligkeit und mit seinem gewichtigen Klang auch heute seine volle Berechtigung. Eine reiche geschichtliche Tradition verbindet sich mit ihm, und er umfasst jetzt 140 Jahre stolzen und fröhlichen Lebens einer studentischen Verbindung. Auch der in ihm zum Ausdruck kommende landmannschaftlichte Charakter hat in unserer Zeit, in der zwar Wirtschaft und Politik globale Weite haben und sich sogar anschicken, interplanetarisch zu werden, seine große Bedeutung. Allerdings gilt das nicht mehr in dem Sinn, dass unser Bund nur aus jungen Menschen von der Oberweser besteht und dass diese sich gegen Kommilitonen anderen Herkommens abschließen und schützen. Aber in der Betonung des Heimatlichen gilt der landsmannschaftliche Gedanke jetzt und immer. Den Einzelmenschen formen auch heute die Einflüsse und Eindrücke seiner geliebten Heimat. das Herz des einzelnen Menschen schlägt leise im kleinen Bezirk, sein Fühlen fühlt vor allem im engen Umkreis der Heimat, ganz gleich, ob das Schicksal ihn darin lässt oder weit darüber hinausführt. In unserer Schaumburgia sind und werden sein, Menschen aus allen vier Himmelsrichtungen.

Vgl. Randermann, Hermann: Der Name unseres Bundes. In: Geschichte der Turnerschaft Schaumburgia und der Turnerschaft Tuiskonia sowie der Altherrenvereinigung Schaumburgia-Tuiskonia Marburg/Lahn, Wolfsburg. 1959. S. 88-91. Gekürzte und geringfügig geänderte Fassung.